Alljährlich am 27. Januar „feiern“ wir Mozarts Geburtstag im Klavierzimmer des Vereins, in der Augustastrasse 6 in Görlitz. Jedes Jahr füllt sich die 180m2 große Gründerzeitwohnung mit einer Vielzahl von Besuchern, denen Mozarts Musik genauso viel bedeutet wie uns Musikern. Aber dieses Jahr wollte ich Mozarts Geburtstag mit Franz Schuberts Geburtstag fünf Tage später verbinden. Die beiden Komponisten verbindet mehr als der Geburtszeitpunkt am Ende des kalten Januars. Und nicht nur ihre Musik entstammt derselben hohen spirituellen Sphäre. Beider Leben war mit vielen Schwierigkeiten, existenziellen Nöten und fehlender Anerkennung verbunden und es dauerte ebenso kurz. Mozart stirbt mit 35, Schubert mit 31, beide arm. Trotz dieses schwierigen, kurzen Lebens haben beide viel Musik hinterlassen, die die Menschheit für die Ewigkeit inspirieren wird. Auch für mich, die Gründerin dieses Vereins, sind Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert Künstler, die ich zutiefst bewundere und zu denen ich eine Affinität empfinde. Das Drama und Trauer ihres Lebens und wie sie das in leuchtender Musik umwandeln konnten, bedeutet für mich die Quintessenz der Kunst.
Daher war der spontane Entschluss, aus einer jährlichen Veranstaltung eine kleine Konzertreihe -der beiden Komponisten gewidmet- zu machen, eine gute Idee. Auch wenn wir am 31.1. kein Konzert zu Schuberts Ehren geben konnten, haben die drei Konzerte am 27., 28. und 30. Januar ihren Zweck erfüllt. Die Abende brachten wunderbare Werke der Musikliteratur hervor, die Künstler waren inspiriert und begeisterten mit ihrem Talent, das Publikum strahlte. Die Musik der Klassik und Romantik erklang in einem intimen, schönen Raum, bereitete den Menschen Freude an der Musik, gab den Musikern die Möglichkeit des Ausdrucks und schliesslich vermittelte Ideale. Genau über diese Ideale wollte ich in diesem Beitrag schreiben. Denn genau wie diese kalten Tage am Ende Januar, ist unsere Zeit „winterlich“. Wie mitten im Winter die Sehnsucht nach Licht und Frühling groß ist, so ist in diesem „historischen Winter“ das Bedürfnis der Menschheit nach Hoffnung und Frieden größer denn je. In diesem Winter also, mitten im Krieg und Krisen, ist Mozarts und Schuberts Musik ein Balsam für die müde Seele und verleiht Hoffnung. Blanche Kommerell, die uns beim dritten Konzert (das Lviv Duo aus der Ukraine) besuchte, erkannte die Bedeutung der Gelegenheit, die wir den jungen Musiker gegeben haben, weil durch die Vorbereitung und Aufführung des Konzerts ihr eigener Seelenschmerz gelindert werden konnte. „Die Hoffnung, die man Künstlern und Publikum durch solche Veranstaltungen gibt, ist der beste Beitrag, den man in diesen schwierigen Tagen leisten kann.“
Aber warum sind unsere Zeiten schwierig, "dunkel und kalt"? Die Politik der Pandemie hat Künstlern und Kultur einen schweren Schlag versetzt. Viele junge Musiker haben sich in einer existenziellen Not wiedergefunden, die sich nicht von der Not zu unterscheiden scheint, die Mozart oder Schubert erlitten haben. Und dann kam der Krieg. Die Flucht, die Angst ums Leben, die Angst um die Zukunft. Und dann kam die Energiekrise und die politische Krise. Alles ist bedrohlich. Die Menschen können nicht mehr schlafen und die Hoffnung ist verloren. Es gibt nichts, woran wir uns festhalten können, außer diesem unsichtbaren Geist, der uns sagt: „Mach weiter, es ist noch nicht alles verloren“.
Und du hörst es und fängst wieder an zu singen oder zu spielen. Du wirst dir der Ewigkeit wieder bewusst, du tankst neue Hoffnung, die du dann an Andere weitergibst. In diesem Moment muss ich wieder an Polanskis Film „Der Pianist“ denken. Der polnische Regisseur, der in all seinen Filmen das Böse dargestellt hat, präsentiert in diesem Streifen das Element „Musik“ als Erlösung in der tiefsten Dunkelheit der Menschheit, und es scheint, dass genau die Musik Wladyslaw Spielmann vor dem Tod rettet und die Zuneigung der Menschen garantiert, die ihm dann helfen. Die Menschlichkeit wird durch die Musik geweckt und führt die Menschen durch die Nacht, bis der Tag anbricht. Zwar teilten damals viele Komponisten nicht das Schicksal Spielmanns und kamen in Auschwitz und Theresienstadt ums Leben. Tatsache bleibt jedoch, dass die Musik, die in dunklen Zeiten entsteht, die Kraft hat ans Licht zu führen, und diese Kraft behält sie über die Jahrhunderte, um die Hoffnung in jeder späteren Krise aufrecht zu erhalten.
So gesehen scheint es kein Zufall zu sein, dass der 27. Januar Mozarts Geburtstag ist, aber zumindest hier in Europa auch Gedenktag des Holocaust. Nur um uns daran zu erinnern, dass Musik in der schlimmsten Dunkelheit die Hoffnung und den Glauben an das Gute der Welt am Leben erhält. Wenn wir diesen Glauben verlieren, werden wir selbst zu Bestien und das Böse triumphiert. Nachdem ich versucht habe, Dir, lieber Leser, die spirituelle Dimension der Musik in der dunklen "Winterzeit" der Menschheit zu schildern, möchte ich nun einige praktische Details erwähnen. Warum waren die drei Konzerte der fünf „Mozart-Schubert-Tage“ ein Beispiel für nachhaltige und humanistische Veranstaltungskultur in der Praxis? Zweifellos ist ein Teil der Krise, die wir in der Welt erleben, nicht politischer und geopolitischer Natur, sondern ethischer, was sich auch in der Zerstörung von Natur und Gesellschaft widerspiegelt. Ich möchte nicht auf das Thema Klimawandel eingehen oder auf die politische und soziale Spaltung der Gesellschaft, die wir in den letzten drei Jahren erlebt haben. Was ich hier erklären möchte, geht über die Politik hinaus.
Auf einer tieferen spirituellen Ebene trat eine ethische Krise viel früher auf, als die politische. Vielleicht sind die Kriege und Finanzkrisen nur das Ergebnis dieser ethischen Krise. Es geht um exzessiven und unbewussten Konsum, kombiniert mit einer wilden und unkontrollierten Wirtschaft, Lobbyismus und Interessen, die die Demokratie dominierten, sie schwächten, die Kultur und Bildung durch Ideologie und Profit „korrumpierten“. Schon während meiner Studienzeit ist mir aufgefallen, dass sich einige Professoren an meiner Hochschule mehr für die Karriere als für die Ergebnisse der Forschung interessierten. Ich erinnere mich an die schockierenden Bilder der weggeworfenen Orangen (weil die Subvention höher waren als der Verkaufspreis). Die marokkanische Orange war billiger, also wurde die griechische zerstört und die Lebensmittel wurden über weite Strecken verschifft, wie die katastrophale Abhängigkeit Afrikas von russischem Weizen zeigt. Die Überfischung der Meere, die Berge von Mühl, die nicht recycelt werden können und ins Ausland verschifft werden, Kinderarbeit in armen Ländern, damit wir hier mehr konsumieren können, Umweltzerstörung und das alles ohne uns ein bisschen glücklicher zu machen. Im Gegenteil, wir sind allein, reich (oder sehr arm), uns der wahren Bedürfnisse unserer Seele nicht bewusst, ohne unsere Talente zu kultivieren, ohne uns selbst zu lieben. Hass, Naturkatastrophen, Krankheiten und folglich Angst vor der Zukunft. So hat sich unsere Welt in den letzten Jahren entwickelt und einen Tiefpunkt erreicht. Aber nichts kann besser werden, wenn wir diesen katastrophalen Weg weitergehen. Wenn wir weiterhin unbewusst, konsumorientiert, blind leben und Natur und Kultur weiter vergiften. Die „Hoffnung“ auf der praktischen Ebene bedeutet also: Mit Blick auf eine bessere Zukunft die Heilung unserer derzeitigen ungesunden Eigenschaften zu betätigen.
Aber was genau war an unserer kulturellen Lebensweise ungesund? Ich bin 50 Jahre alt und hatte genug Zeit, diese Entwicklung zu beobachten. In den 90er Jahren begann sich alles wild an die Wirtschaft zu orientieren - Konsum und Profit war das Ziel, ethische Grundlagen verloren an Wichtigkeit. Wo es billigere Arbeitskräfte gab, wurden Unternehmen verlagert, die lokale Produktion zerstört, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung geschaffen. Das EU-System hat auch leider dazu beigetragen, lokalen Kulturen und Ökonomien zu schaden: Was sehen wir heute überall in Europa? Man hat die Finanz-Union gegründet ohne erst die europäische Länder dafür KULTURELL vorzubereiten, in die Zukunft vorausschauend. In Ländern, in denen die Kultur nicht geschützt wurde, fällt alles auseinander: Dörfer, Denkmäler, Traditionen und Erbe sind vergessen oder bereits zerstört, wie die 430 verlassene Opernhäuser in Italien. Vor allem gibt es ganze verlassene Dörfer in Griechenland, Italien, Frankreich usw.
Theater und Musik haben sich von ihren Wurzeln entfernt. Gegen 2000 begannen die Theaterproduktionen absurd und sehr teuer zu werden. Um mehr Profit zu garantieren, haben Intendanten teure Künstler engagiert, die dann überall singen oder spielen, ständig unterwegs sind, während andere keine Auftrittsmöglichkeiten haben, weil es auch immer weniger Theater gibt. Das Geld reicht nicht: Bereits um 2008 herum, als die Krise begann, wurden viele Theater in Italien geschlossen. Was für eine Zerstörung menschlichen Potenzials. Und dann geht auch die Bildung den Bach runter. Die junge Generation interessiert sich nicht mehr für Literatur und Theater, sie wird immer dümmer und unkritischer. Alles wird leer, verliert an Authentizität, wird teuer und oft erschreckend hässlich. Kurzum: „Viel Geld“ hat den Sinn der Kunst vergiftet und das Theater zu einer Profitmaschine verwandelt. Die Künstler arbeiten nicht an Qualität sondern Quantität und werden krank. Ständig mit dem Flugzeug um die ganze Welt zu reisen, ist ebenfalls giftig und eine große Energie- und Geldverschwendung. Gleichzeitig erlaubt es dem Künstler nicht, sich in der Gruppe anderer Künstler wohl zu integrieren und eine gute Zusammenarbeit aufzubauen, sinnvolle, nachhaltige Kunst zu schaffen. Und natürlich muss man die Gelegenheit geben, an jeden Künstler, egal ob er namhaft ist oder nicht, seine Talente zu zeigen. Es gibt auch andere kleine Dingen, die in der Kultur wegen der Profitgier schief laufen, aber hier möchte ich meine Aufzählung beenden, um auf die Lösungen für diese Probleme einzugehen. Hier einige Beispiele:
1. Das Management des Kultursystems muss sich von den Händen profitorientierter Manager in die Hände gemeinnütziger Vereine und der Künstler selbst gelegt werden. Das geschieht schon, zB mit Ars Augusta: Aber viele andere Künstler gründen ihre Initiativen, Vereine, Orchester und Kompanien, um sich aus diesem System zu befreien.
2. Der Fokus richtet sich wieder von der Oberflächlichkeit auf die Essenz der Kunst, und das sind der Text, die Musik und der Schauspieler/Musiker als Mensch. Die Ästhetik soll mit den nötigsten Mitteln und mit äußerster Sparsamkeit gewährleistet werden, damit am Ende möglichst nur der Mensch und das Werk im Mittelpunkt stehen und Überflüssiges beiseite bleibt. Und das Geld an die eigentlichen Protagonisten geht, die Darsteller und Musiker.
3. Der Veranstaltungsort: Je kleiner desto besser, besonders im Winter. Draußen in der Natur im Sommer. Das Aufheizen riesiger Räume und Kirchen muss vermieden werden. Die Veranstaltung im Vereinssalons ist ideal für einen Klavierabend oder Liederabend. Wir brauchen keine zusätzliche Heizung. Die Musiker können mit dem Zug zu uns anreisen und in unserer Wohnung übernachten. Das alles spart und ist gut für die Umwelt.
4. Werbung: Auch die Art der Promotion muss sich ändern. Große Plakate und Flyer sind Papier, das eingespart werden kann. Wir informieren unsere Bekannten telefonisch oder per E-Mail über das Konzert.
5. Logistik und Arbeit mit den Künstlern. Diese Arbeit muss länger dauern und entsprechend mehr bezahlt werden. ZB nicht mehr am Vortag anreisen, Probe, Veranstaltung und gleich danach wieder abreisen. "Slow-Traveling", sich die Zeit nehmen, die Gegend zu erleben, Leute und Kollegen besser kennenzulernen, sich inspirieren zu lassen, die Musik langsam gründlich und ohne Stress zu studieren.
6. Jungen Künstlern eine Chance geben. Die Möglichkeit, ihr Talent zu entdecken und weiterzuentwickeln. Keine großen Namen usw. Es muss ein Laboratorium sein, in dem jeder die Möglichkeit bekommt, sich selbst zu entdecken.
7. Tonaufnahmen und Videoaufnahmen sind sehr wichtig, damit das Ergebnis bleibt und auf der ganzen Welt zu sehen ist. Dokumentieren. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich die Musiker die Zeit nehmen, qualitativ zu arbeiten. Damit nichts oberflächlich wird, sondern tiefgründige Musik, die bleibt. Die beste Kunst ist nicht mit Geld verbunden, sondern mit Inspiration und Fleiss.
8. Technologie. Wir kaufen nichts Neues. Anna Utko verwendet das Material perfekt wieder. Sie recycelt, sie kauft auf Trödelmärkten, leiht aus etc. Sogar Mikrofone, Kameras etc. können auch ausgeliehen oder gemietet werden, als ständig auf neuem gekauft. Und wir gehen damit bewusster um, damit es länger lebt.
9. Kontakt zum Publikum. Man muss eine andere Beziehung zwischen dem Künstler und dem Zuschauer herstellen, unmittelbarer und zum Greifen nahe. Unter diesem Punkt ist ein Salonkonzert ideal. Wir sind alle wie in einer Wohnung, man kann Fragen stellen. Auch für das teilnehmende Publikum ist es ein besonderer Reiz eine Spende direkt an die Musiker gehen zu lassen und nicht an einer Theaterkasse. Auf diese Weise möchten wir auch 2023 weiterarbeiten und hoffentlich haben wir dann bei unserem Wiedersehen am 27. Januar 2024 viel erreicht und vieles geheilt.
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