„La serva padrona“ von Giovanni Battista Pergolesi wurde 1733 in Neapel uraufgeführt, als Intermezzo mitten im Drama per musica "Il prigionier superbo". Das kleine Stück wurde bald sehr populär, auch weil es eine der ersten Komödien (opera buffa) war, die die Oper mit der Commedia dell'arte verband. Pergolesi starb sehr jung im Jahr 1736, aber seine Opern und geistliche Musik wurden sehr beliebt. „Serva Padrona“ ist neben „Stabat Mater“ eines seiner bekanntesten Stücke.
Bei einer Aufführung in Paris 1752 an der Académie Royale mit Lullys "Acis & Galatea" sorgte sie sogar für einen politischen Eklat: den Buffonisten-Streit über der Frage, ob die Oper witzig und leicht sein darf oder tragisch bleiben solle. Jean Jaques Rousseau verteidigte es energisch: Er fand das Stück so genial, dass er sich bald hinsetzte und selbst eine kleine Oper für drei Sänger „Le devin du village“ komponierte. So setzte sich die Basis in Frankreich für die Opéra-comique.
Bestimmt fand die kleine Komödie viele Fans unter den Philosophen der Aufklärung. Sehr verständlich: Es geht um eine kluge, selbstbewusste Dienerin, die es schafft, einen alten Junggesellen zu heiraten, und so wird sie zur Herrin. Emanzipation, Sprengung sozialer Konstrukte, Menschentypen nicht mehr als Helden und Götter, wie in der Opera seria, sondern aus dem Alltag geholt. Voltaire und Diderot würden das sicherlich auch gefallen. Wir wissen, dass beide ähnliche Themen für Theaterstücke verwendeten.
Dass viele Philosophen der Aufklärung Frauen und ihre Verbindung zur Natur idealisierten, ist bekannt – bestes Beispiel ist die Rolle der Rosina in Beaumarchais „Figaro-Trilogie“.
Interessant, dass der deutsche Komponist mit dem italienischen Namen Johann Friedrich Agricola zur gleichen Zeit mit Rousseau mehrere Intermezzi zum selben Thema schrieb: wie das "Il filosofo convinto in amore" (Potsdam 1750) ähnlich für einen Bariton und einen Sopran. Die schlaue einfache Frau erreicht es mit verschiedenen Ideen, einen Misogynen Philosophen zum Verlieben zu bewegen. So war Pergolesi einer der ersten, der diese neue Idee mit seinem Intermezzo in Neapel inszenierte. 1710 in Jesi in Le Marche geboren und hauptsächlich in Neapel studiert und komponiert, starb er im Alter von nur 26 Jahren dort an Tuberkulose. Seine wenigen Opern, das berühmte Stabat Mater, aber auch Messen, Kantaten und Konzerte erlangten große Berühmtheit. Heute gilt er als einer der berühmtesten Komponisten des italienischen Barock.
Die neapolitanische Geschichte, die in Frankreich und den Rest Europas während der Aufklärung widerhallte, inspirierte mich dazu, keine "Commedia dell'arte" zu inszenieren. Im Gegenteil, ich möchte mich auf die philosophische, psychologische und politische Dimension des Textes konzentrieren: so wie es Rousseau und andere Denker der Aufklärung empfunden haben. Der Sieg der weiblichen Leichtigkeit über die Schwere der Männerwelt. Und ich möchte wirklich in die beiden Charaktere vertiefen, als wäre es nicht nur ein Intermezzo, um sich von der Opera seria zu entspannen, sondern wirklich eine kleine Oper, vollommen in sich selbst. Der Text ist schön, brillant, witzig und erzählt von Nebengeschichten auf paralleleren Ebenen. Es wäre schade sie auf einen Streit zwischen der kapriziösen Dienerin und ihren flegmatischen Herren zu reduzieren.
Uberto erzählt uns am Anfang, dass er dieses Mädchen seit ihrer Kindheit mit Liebe großgezogen hat. In seinem letzten Rezitativ und seiner letzten Arie gibt er noch eine merkwürdige Information: "Er kennt die Geschichte ihrer Geburt".
Er ist mit dem Mädchen auf Wegen verbunden, die uns unbekannt sind. Möglicherweise war sie das uneheliche Kind eines Freundes/Freundin, den er aus Freundlichkeit aufnahm und aufzog. Fakt ist, dass sich nach vielen Jahren (Serpina sagt „Du solltest mich verstehen: Viele Tage sind vergangen, seit wir uns kennen“) zwischen den beiden ein Gefühl entwickelt hat. Anders kann man sich nicht erklären, warum das junge emanzipierte Mädchen den alten Mann heiraten will. Und warum er trotz seiner Wut endlich sich überlegt, das Mädchen (das er so oft „poverina“ nennt) zu heiraten und sich fragt, ob es Liebe oder Mitleid sei. Es geht um eine „Liebesgeschichte“ und das Interessanteste an der kleinen Oper ist, meiner Meinung nach, die Entwicklung dieser Beziehung innerhalb der 40 Minuten der Handlung zu beobachten. Wie die beiden am Anfang überhaupt nicht zurechtkommen, wie sie sich widersetzen, wie sie ihren Frust und ihre Unfähigkeit, ihre Gefühle einzugestehen, am Diener ausleben und wie sie dann diese Blockade überwinden. Wer macht den ersten Schritt, wie reagiert der andere, wie kommt es zu einer kleinen Katastrophe und wie raffiniert schafft es Serpina, die Situation umzudrehen.
Die Beziehung des einfachen, ungebildeten Mädchens zum alten Junggesellen hat mich vom ersten Moment an Bilder des Stücks „Pygmalion“ von Bernard Shaw (1919 in Wien uraufgeführt) erinnert. Shaw hatte in seinem Theater auch einen Frauentyp verehrt: emanzipiert und selbstbewusst - man nannte es "die neue Frau". Das Thema der Emanzipation kehrt tatsächlich am Anfang des 20.Jh wieder in Kunst und politische Bühne. Der Venezianer Ermanno Wolf-Ferrari schreibt um 1909 "Il segreto di Susanna" mit ähnliche Charaktere wie "Serva padrona" Sopran-Bariton-Mim. Thema: eine Frau die raucht. Aber wieder in England manifestiert sich auf den Strassen (mit den Suffragetten) was die Künstler auf der Bühne zeigten.
Die Theaterstücke von Shaw befassten sich oft mit sozialistischen Ideen und Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Klassen. Also kam mir sofort die Figur von Professor Higgins in den Sinn, als ich Ubertos Text las, und die Serpina – wäre sie in England – würde sicherlich Eliza Doolittle ähneln. Er, der Professor aus der Aristokratie, konservativ, für die Unterschicht wenig Verständnis. Aber genau wie in Gennaro Antonio Federicos Libretto holt Higgins Eliza von der Straße und zieht sie auf, indem er sie aus einer vulgären Straßenverkäuferin zu einer Dame der Aristokratie zu verwandeln versucht. Ich finde ähnlich faszinierend bei Shaw und Federico wie sie den Transformationsprozess von Uberto und Higgins beschreiben. Shaw beschreibt meisterhaft den Mann, der sich völlig mit seiner Wissenschaft identifiziert und keine Zeit für Gefühle und Frauen hat! Deshalb bleibt er ja bis zu hohem Alter ein Junggeselle. Wie Uberto. Eliza ist natürlich eine schönere Frau als die Komödiantin Serpina, aber sie hat auch einige Berührungspunkte mit der Italienerin: dass sie auch vielleicht aufgrund ihres sozialen Status nicht als Mensch wahrgenommen wird. Aber der interessanteste Berührungspunkt der beiden Stücke ist der Moment der Umkehrung in der Geschichte. Auch in Shaw beginnt der Professor über seine Gefühle und seine Grausamkeit nachzudenken, als er erfährt, dass Eliza geht, und sogar mit einem anderen Mann. Die Verlustangst lässt ihn begreifen, dass er doch in der Lage ist, für das Strassenmädchen Gefühle zu haben: Shaw beschreibt dann faszinierend den Kampf zwischen den Higgins-Menschen und den Higgins-Professor, der seinen Stolz und seine jahrzehntelange Frauenfeindlichkeit mit Mühe zu überwinden versucht. ("etwas in mir sagt mir: Uberto denk an dich")
Genau diese faszinierende psychologische Entwicklung macht aus einem einfachen Bühnenstück, echtes Theater und das will ich machen. Außerdem habe ich ein Faible für die Schauspielkunst. Ein sekundenlanger Blick, eine raffinierte Geste, die Magie der Darstellung menschlicher Charaktere auf der Bühne: das muss sein. Alles andere finde ich langweilig.
Jemand würde fragen, ob die Musik das zulässt. Es ist schliesslich eine lustige Partitur. Meine Antwort ist ja. "Pygmalion" ist auch eine Komödie. Und das Schöne am Theater ist, wenn man ein bisschen Komödie in eine Tragödie integriert und umgekehrt ein bisschen Tragödie in eine Komödie. Mit Humor bewältigt man leichter die große Probleme des Lebens, während eine Dramatik bringt Schönheit in der Oberflächlichkeit der Komödie. Wie interessanter wirkt eine Buffa-Arie mit einer raffinierten Interpretation? Dann haben wir die schöne Rezitative, mit denen man theatralisch viel spielen kann. Und schliesslich die Lage der Frauen in der Zeit vor der Französischen Revolution ist kein lustiges Thema. Da wir Susan Joseph am gleichen Abend spielen lassen möchten, werden wir ein Konzert für Blockflöte von Vivaldi in das Programm integrieren. Das sollte so funktionieren:
Uberto und Serpina sind zu Beginn der Oper auf der Bühne. Uberto bringt Serpina das Lesen bei. Wie ein englischer Aufklärer zu einem jungen Weisen-Mädchen, das er zu Hause aufnahm – wie Jean Valjean mit Cosette in Hugo´s Les Miserables (ebenfalls eine Geschichte aus der Französischen Revolution). Es könnte auch eine Musikunterricht sein, aber Lesen ist natürlich ein besseres Symbol für die Aufklärung. Serpina bekommt Lob für den gelungenen Unterricht – warum nicht einen Kuss auf die Stirn – und fühlt sich wertgeschätzt und glücklich. Gefühle der Zuneigung für die väterliche Figur mögen sich vielleicht langsam entwickeln - aber Uberto geht hinaus und Vespone kommt, um das junge Mädchen daran zu erinnern, dass sie eine Dienerin ist, und dass sie jetzt Hausarbeiten erledigen muss. In diesem Moment beginnt die Musik - Vivaldis "Gardellino" erster Teil (Allegro)
Während dieser langweiligen Beschäftigung erklingt die Musik des kleinen Vogels und die Sehnsucht nach Natur und Freiheit wird geweckt. Wir sehen wie die emanzipierte Frau in der "Tochter und Dienerin" erwacht. Wenn Vespone an Putzen und Kochen erinnert, sehen wir in ihr den Trotz, Ungeduld, vielleicht Wut aufwachen: so wird aus dem süssen Mädchen die Widerspenstige gemacht. Das erklärt, warum Serpina zu Beginn der Oper wirklich sauer auf Vespone ist. Weil sie nicht mehr dienen will, sondern gleichberechtigte Herrin sein. So ist Vespone am Anfang ein "Feind" und "Hindernis". Doch im zweiten Teil werden sie Verbündete und sie verspricht ihm sogar auch „Befreiung“ – er wird auch zum „Meister“, wenn er ihr hilft. Tatsächlich dreht sich die Situation zwischen dem 1. und 2. Teil der Oper um. Serpina und vor allem Vespone, wenn am Anfang schlecht behandelt werden, im zweiten Teil übernehmen sie Aktion. Vespone wird ständig beschimpft und geohrfeigt – das kann einem Zuschauer wirklich leid tun. Ich sehe ihn als wirklich naiv und sympathisch, wie ein behinderte ungebildete junge Mann. Er ist ja stumm und kommuniziert mit Gebärden. Er gerät zwischen die beiden, in deren Streit bekommt auf die Haut deren Frust ausgeladen. Doch im zweiten Teil, verkleidet als Capitan Tempesta (der "Sturm" Symbol jeder revolutionären Umwälzung in der Oper), hat er die Gelegenheit, sich zu erheben und seinen Zorn auch wenn schauspielerisch auszuleben. Die Rolle gelingt ihm so gut, dass Uberto richtig Angst bekommt. Serpina wird am Ende tatsächlich beide Männer feiern: "Viva il padrone e viva ancor Vespone". Sie schafft es, beide Männer zu „befreien“ und das Happy End herbeizuführen.
Deshalb möchte ich für das Finale, den dritten Teil des Vivaldi-Konzerts: es wird gefeiert, getanzt, getrunken und gegessen. Uberto und seine Diener sitzen alle zusammen am Tisch – keine Herren, keine Diener. Die Pantomimegruppe von Bogdan Nowak passt sehr gut dazu. All diese Menschen mit ihren weißen Kostümen sind wie die neue glückliche Gesellschaft von Serpina, Uberto, Vespone und Freunden. Es muss auch eine wirklich fröhliche Karnevalsstimmung von Venedig sein und beim Publikum Freude hervorrufen.
Aber der langsame Teil von Vivaldis Konzert, das schöne "Cantabile", wird zu einem lyrischen Pantomime-Rezitativ, zwischen dem ersten und zweiten Teil des Intermezzo integriert. Wir sehen dann eine nachdenkliche Serpina, die von Ubertos Ablehnung verletzt, vielleicht über ihr Los denkt und dann kommt Vespone, um sie zu trösten: gemeinsam beschließen Verbündete zu werden und die "Verschwörung" zu planen. Das passt perfekt zu der Änderung der Stimmung im zweiten Teil. Hier ist dieses wunderschöne Cantabile mit Susan auf der Blockflöte und Szczepan am Cello.
Am nächsten Post möchte ich die drei Charaktere vorstellen und wie ich sie an die Persönlichkeit meiner drei Protagonisten anpassen möchte. Das heisst, die Persönlichkeit der drei Schauspieler wird fundamental für die Kreation der drei Rollen: "sie müssen die Rolle in sich selbst finden" (wie der große Max Reinhardt sagte). Mein Uberto ist ein Bariton, der Ähnlichkeiten zu Higgings hat (wie Leslie Howard im Film von 1938), ein ausgezeichneter Interpret. Serpina ist eine witzige und definitiv talentierte schauspielersch Sopranistin und vor allem Vespone ein brillanter Pantomime, Bogdan Nowak, der viel aus seiner französischen Kultur mitbringt (mit Marcel Marceau in Paris zusammengearbeit, ein intelligente Humanist und Intellektueller in Boleslawiec, der oft und mutig mit den Autoritäten seiner Stadt kämpft).
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