Gedanken zum Jahr der Romantik 2024, dem 200. Todesjahr von Lord Byron in Messolonghi und 250. Geburtsjahr von Caspar David Friedrich in Greifswald.
Wir Romantiker bereiten uns schon jetzt auf ein wichtiges Jahr vor: 2024, das Jahr, in dem der Maler Caspar David Friedrich vor 250 Jahren in Greifswald am Baltikum in Nordeuropa (am 5. September 1774) geboren wurde. 50 Jahre später starb Lord Byron in Südeuropa in der Missolonghi-Lagune (am 19. April 1824). Der Maler und der Dichter, ihre geschichts-trächtige Orte im Norden und Süden Europas, die Ruinen der alten Tempel nah am Meer, das Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (1818) oder das berühmte Canto des Dichters „Childe Harold’s Pilgrimage“ (Childe Harolds Pilgerfahrt), ebenfalls um 1818 erschienen. Über allen "Zufälle" scheint ein wertvolles Geheimnis zu schweben, das einer Entdeckung harrt. Im Geheimnis dieser zwei Wanderseelen, empfinde ich eine Botschaft aus der Vergangenheit. Dieser Botschaft möchte auf die Spur kommen und begebe mich selbst auf eine "Wanderung". Die Reise in die Welt der Romantiker zwischen Greifswald und Missolonghi heute – mit Ausgangspunkt einem Ort zwischen beiden, Dresden – Hauptstadt der Romantik, des Vormärz und der Revolution - wird sich in Folgen entwickeln. Ich lade Dich, lieber Leser und Wegbegleiter, herzlich zu dieser Reise ein. Und gleich geht es los.
1. Der Meilenstein
Βίοι παράλληλοι; Parallelbiographien?
In einem Gespräch mit Kollegen stieß ich auf deren Unverständnis für meinen Willen, Parallelen zwischen "ungleichen" Romantikern, wie dem deutschen Maler und dem englischen Dichter, zu suchen. Es sei "offensichtlich", dass es keine gibt. Aber ist das wirklich so? Sehen wir uns eine der ersten Skizzen an, die Friedrich in Dresden malt und dann die erste Gedichte die Lord Byron schreibt (beide im Jahr 1802, was die erste Gemeinsamkeit ist). Man sagt, das erste Werk eines Künstlers - sein erstes "Kind"- sei repräsentativ für die Berufung und Zukunft des Künstlers.„Die Räuber“ ist für Schiller definitiv ein Sinnbild dessen, was Schiller Zeit seines Lebens war.
Und wer war Caspar David Friedrich? Am Anfang seiner Laufbahn, als er nach seiner ersten Kopenhagener Studienjahren im Jahr 1798 nach Dresden kommt, zeichnet er 1799 Szenen aus Schillers „Räuber“ (und welche Ähnlichkeiten der Räuber Schillers mit den byronischen Helden wie der Korsar oder der schlesischen Ulrich in „A german tale“). Im Jahr 1802 zeichnet er den "Wanderer am Meilenstein“. Schauen wir uns dieses Bild ganz genau an:
Meilenstein oder Postmeilensäule definiert Wikipedia als einen Stein, den auf Wegen stehen um die Abstände zu messen (Link). Das Wort "Meilenstein" bedeutet aber auch: "ein Ereignis mit großer Bedeutung innerhalb eines Projekts. Dabei handelt es sich meistens um den Anfang oder das Ende einer Projektphase oder einer Etappe innerhalb eines Vorhabens."
Ein Meilenstein! Anfang, Rastplatz oder Ende einer Reise, aber vor allem ein Symbol. Denn wenn wir den Artikel aus Wikipedia lesen, ist klar, dass die Meilensteine zum ersten Mal auf den antiken Römerstraßen errichtet wurden. Man nutzt sie wieder mit der Renaissance. Im 18. Jahrhundert beginnen dann die Fürsten wieder, Meilensteine entlang der Straßen zu errichten, in Form von Obelisken. Das Interessante ist, dass diese Tradition nicht überall in Europa verbreitet ist. In Sachsen begannen August der Starke und August III. solche Meilensteine in Form von Obelisken zu errichten, unmittelbar danach die Preußen. Solche Obelisken (wie auf dem Bild Friedrichs), findet man heute vor allem in Gebieten die einst zu Preußen gehörten – darunter auch Polen. Im Rest Europas und der Welt Meilensteine sind in England und der angelsächsischen Welt zu finden, dh in den USA, Australien und Indien.
Wir haben also eine zweite interessante Parallele zwischen England und Sachsen (Preußen zur Zeit Caspar David Friedrichs) gefunden. Die Meilensteine auf dem Weg, den nicht nur die Postkarren, sondern auch Wanderer nahmen. Nun stellt sich die Frage der Form. Warum "Obelisken"? Die Meilensteine der Römerzeit waren einfache Säulen, wie wir auf diesem Foto in Jülich sehen können. Die Säule auf diesem Foto wurde im 4. Jahrhundert für Kaiser Konstantin errichtet. Neben ihm steht ein preußischer Obelisk und sogar mit einer Bank, damit Wanderer sitzen und sich erholen können.
Wir wissen, dass in der Zeit der Fürsten des Barock und Aufklärung viele Herrscher Mitglieder von Freimaurerlogen waren, daher vielleicht die Nutzung von ägyptischen Symbolen in Architektur und Kunst. Wir kennen die große Obelisken in Paris, in Rom oder München. Aber ist es nicht interessant, dass die Fürsten kleine Obelisken auf den Weg von Postkarren errichteten?
Über die Bedeutung des Obelisken vom alten Ägypten bis heute in Europa können Sie unter diesem Link ausführlich nachlesen.
Der Obelisk stellte im Alten Ägypten, wie die Pyramide, die steingewordenen Strahlen des Sonnengottes dar und war die Verbindung zwischen der hiesigen und der Götterwelt.
Wir verstehen, dass es ein Symbol des altägyptischen Sonnenkult ist (die Obelisken von Heliopolis). Der ägyptischer Sonnenkult ist übrigens mit dem Römischen und Griechischen Sonnenkult (Apollos in Delphi zB) verbunden. Ich erlaube mir hier zu spekulieren, dass dieser Kult erscheint häufig gegen Ende einer Hochkultur. Heliopolis endet, Athen endet, Rom endet. Cäsar Augustus im Jahr 13 v.Ch. brachte einige Obelisken von Heliopolis nach Rom, und mit ihnen kam der Kult und ihre Symbolik nach Europa. Kein Wunder, dass die sächsische Augusten, die Cäsar Augustus ohnehin zum Vorbild hatten, die Symbolik des Obelisken wiederentdeckten. Aber siehe, auch die strahlende Reiche des Sonnenkönigs Louis XIV in Versailles, und die Elbflorenz der Augusten würden bald enden. Ist dieses Symbol ein Segen oder ein Fluch? oder aber nur eine geistige Nachricht aus alten Zeiten, um Menschen die sich auf dem Weg verloren fühlen, in schwierigen Umbruchszeiten, zu inspirieren?
Der heute übliche Begriff "Obelisk" ist die vom griechischen hergeleitete und heißt so viel wie "Spieß" - der alte ägyptische Name war "Techen“, was offiziell mit "Himmelsspalter" übersetzt wird. Dieser Himmelsspalter kann spekulativ durchaus als eine Art Antenne verstanden werden, die von der physischen in der metaphysische Welt reicht und den sichtbaren, wie unsichtbaren Kosmos verkörpert, beziehungsweise welche in den metaphysischen Raum eingreift."
Also ein Punkt wo Nachrichten aus einem metaphysischen Raum Menschen erreichen können. Die Aufklärer, Eltern oder Großeltern der Romantiker, wollten über die Ideen der Antike den Blick der Menschen auf eine höhere, idealere Wirklichkeit lenken. Diese Obelisken könnte man mit dem Humanismus in Europa verbinden und vielleicht hatten die Fürsten sie als Symbol verwendet: um über sie Botschaften an die Menschen, die auf dem Weg sind zu ermöglichen. Wie ein Kreuz, wie man sie oft in katholischen Ländern (zB auch im Glatzer Land) auf den Wanderwegen finden kann. Man geht spazieren, man stoßt auf einen Meilenstein mit einem gekreuzigten Jesus, oft mit einem Epigramm darauf, man liest, denkt nach, vielleicht betet man und dann geht man um eine Botschaft reicher weiter. Waren die Obelisken in Preußen und Sachsen also eine Variante des Kreuzes (wobei manche sprechen auch über kulturelle Parallelen zwischen Sonnen- und Jesuskult) für die jungen Wanderer auf dem Weg von einer Stadt zur anderen?
Während ich das schreibe, kommt mir im Sinn das berühmte Gedicht von Schiller "Der Spaziergang". Schiller, der auch in Dresden bei Theodor Körners Vater oft in zu Gast war, beschreibt in diesem Gedicht seine Gefühle während eines Spaziergangs. Nachdem er krank oder traurig lange Zeit in seinem Zimmer eingeschlossen war, bricht er auf.
Das Gedicht ist wie die Beschreibung dieses Aufbruchs, so etwas wie eine Auferstehung. Schiller wandert durch die Natur und plötzlich macht er Gedanken über die sich wiederholende Geschichte der menschlichen Zivilisation. Er beschreibt den Aufstieg und Fall Griechenlands, beginnend mit Thermopylen. Ein feindlicher Geist bedroht das Land (Perser), die Spartaner unter Leonidas opfern sich für das Ideal der Heimat, ein Opfer, das wahrscheinlich den Weg für die Hochkultur Athens ebnet. Doch diese Kultur beginnt bald zu bröckeln und der Untergang kommt, weil die Natur wie eine "Tigerin" ihre Macht zurück will. Nach dieser Katastrophe empfindet der Dichter während seines Spaziergang in der Natur die einzige Hoffnung für die Zukunft.
Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum, Der mich schaudernd ergriff, mit des Lebens furchtbarem Bilde, Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab. Reiner nehm’ ich mein Leben von deinem reinen Altare, Nehme den fröhlichen Muth hoffender Jugend zurück!
Wir lesen über die Entstehung des Gedichtes auf Wikipedia: "Schiller schrieb das Gedicht im Spätsommer 1795 in gesundheitlich stark angegriffenem Zustand. Für Wochen konnte er das Haus nicht mehr verlassen und musste auf Kontakte mit der Außenwelt verzichten. Wann immer es ihm in den Nachtstunden besser ging, arbeitete er an der Elegie. Seinem Freund und Unterstützter Körner sagte er später, er halte sie neben seinen anderen Werken für „diejenige, welche die meiste poetische Bewegung hat, und dabei dennoch nach strenger Zweckmäßigkeit fortschreitet."
Friedrich Schillers Gedicht sind wie die Träumereien des Wanderers am Meilenstein. Diese Gedanken geben dem imaginären Wanderer von Friedrich die Mut und die Inspiration aus seiner Situation einen Ausweg zu finden.
Nun richten wir den Blick auf den zweiten Wanderer unserer Reise: Lord Byron und sein Meilenstein, "Hours of Idleness" (Stunden des Müssiggangs, Faulheit, Trägheit), das er im Alter von 19 (im selben Jahr 1802) schreibt. Der Titel erinnert an Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" (1822/23).
Ein Müller schickt seinen Sohn, den er einen Taugenichts schimpft, weil dieser ihn die ganze Arbeit allein machen lässt, hinaus in die weite Welt. Fröhlich nimmt der Sohn seine Geige und verlässt sein Dorf, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben. (Wikipedia)
Der "Taugenichts" begibt sich ebenfalls auf eine Wanderung Richtung Süden, nach Italien. Die erste Gedichtsammlung Byrons scheint auch der "Aufbruch" eines "faulen Sohnes" aus seiner Heimat zu einer Reise.
Lord Byron beginnt sie aus einer Abbay, ein gotisches Kloster - und schon wieder haben wir ein Bild von Friedrich vor unseren Augen. Dieses Kloster ist wahrscheinlich Byrons "Meilenstein". Er grüßt die Abbay und somit der Väter Gräber, und gedenkt an die erste Ritter die aus Europa Richtung Palästina reisten, wie Schiller das mit seiner Reminiszenzen an Leonidas und Sparta macht. Dann dichtet er über seine Erfahrungen während der Wanderschaft und die Liebschaften. Das Gedichtsband endet mit einer Reihe von Übersetzungen aus Römischen und Griechischen Dichter. Sucht er vielleicht dort Inspiration und einen Wegweiser?
Hier ende ich die erste Etappe meiner persönlichen "Wanderung" durch die Welt der Romantiker. Ich möchte das nächste Mal diese erste Gedichte von Byron durchblättern. Geht es nicht auch in meinem Fall, wie im Fall dieser Menschen um eine ähnliche "Wanderung" zur Wurzel und Seele Europas?
Ich weiß auch, dass ich nicht die einzige Sängerin bin, die diese Wanderung unternimmt. In meiner Generation und zwischen meinen Kollegen erkenne ich viele weitere "Wanderer in der Seele Europas".
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