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Wer war Antonio Bioni?


Schlesien und Böhmen als Teil der Habsburger Herrschaft

Es war ein deutscher Fremdenführer von Breslau, der mich vor ein paar Monaten gefragt hat, ob mir als Musikerin der Name "Antonio Bioni" etwas sagt.

Seine Frage musste ich mit nein beantworten. Nicht nur mir war der Name unbekannt, sondern auch keiner meiner Kollegen des Lausitzer Barockensembles - und sie kennen sich mit Barockmusik sehr gut aus - hatte je diesen Namen gehört. Bei einer einfachen Google-Suche wurden wir dann auf Wikipedia fündig, lasen und staunten nicht schlecht!


Antonio Bioni (* 1698 in Venedig; † 1739 in Wien oder Italien) war ein italienischer Sänger und Komponist, vor allem Schöpfer dramatischer Opern des Spätbarock. Sohn eines Schneiders und Schüler von Giovanni Porta. Sein erstes Bühnenwerk, Climene wurde 1721 in Chioggia aufgeführt. Ein Jahr später wurde mit großem Erfolg seine Oper Cajo Mario in Ferrara aufgeführt. Im gleichen Jahr schrieb er für den Grafen Franz Anton von Sporck in Kuks (Böhmen) eine Oper für dessen Privattheater.

Kuks in Böhmen

Schloss Kuks ist eine interessante Barock-Perle sehr nah an der polnischen Grenze, nicht weit von Waldenburg (Wałbrzych) und Glaz (Kłodzko). Graf von Sporck (geboren in Lissa an der Elbe 1662- gestorben ebenda 1738) war ein bedeutender Kunstmäzen und Verleger, der ungefähr um die selbe Zeit wie August der Starke in Dresden gelebt hat und genauso wie dieser von der Kunst und der reichen Musikszene im Versailles des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV sowie dem Musikleben in Rom begeistert war, die er während seiner Cavaliertour durch Europa kennen gelernt hatte. Wir lesen in seiner Biographie:

Nach der mit Enthusiasmus aufgenommenen Uraufführung der Festa teatrale Costanza e Fortezza von Johann Josef Fux als Krönungsoper für Kaiser Karl VI. zum König von Böhmen (28. August 1723) war bei den dortigen Adeligen eine so große Begeisterung für die italienische Oper ausgebrochen, dass sie diese Werke in ihren Privattheatern aufzuführen begannen. So unterhielt auch Sporck viele Jahre lang eine permanente Opernbühne, deren Kompanie sowohl in Kuks als auch in seinem Prager Palast auftrat. Dieses Ensemble, das vorwiegend aus italienischen Musikern bestand, führte z. B. die Premieren mehrerer Opern von Antonio Vivaldi auf. Neben anderen ist ihm die Gründung des ersten öffentlichen Opernhauses in Böhmen im Jahr 1724 in Prag zu verdanken.

Es kann also sein, dass Antonio Bioni unter den Komponisten war, die Graf von Sporck in Italien nach Böhmen eingeladen hat. In dieser Zeit gehörte Breslau zum Reich der Habsburgern (Zentrum in Wien). Sie herrschten über Böhmen und Teilen Schlesiens schon seit dem 15. Jahrhundert und wurden erst 1740 von Friedrich dem Großen im Zuge der Schlesischen Kriege bis hinter die Sudeten vertrieben. (Die heutige Grenze zwischen Polen und der Tschechischen Republik). Die Habsburger waren als Katholiken sehr vom Italienischen Barock beeinflusst. Sie ließen Orgeln im italienischen Stil für Ihre Barockkirchen bauen und unterhielten Opernhäuser. In dieser habsburgischen Zeit hat auch der Breslauer Michael Engler der Jüngere Orgeln gebaut, unter anderen die wunderbare Barock-Orgel in Grüssau. Es ist anzunehmen, dass sich viele bedeutende schlesische Dichter wie Martin Opitz, Andreas Gryphius oder David Casper von Lohenstein in dieser auch für die Musen fruchtbaren Region ihre Berufung fanden.



Die katholischen Habsburger also liebten die Musik und luden viele italienische Künstler in den Norden ein. Die Musikwisschenschaftlerin und professionelle Sängerin, Dr. Agnieszka Drożdżewska, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Opern-Erbe in Schlesien aus der Zeit der Habsburger. Sie schreibt aktuell ein Buch darüber und bereitet einen Katalog der Partituren aus der Oper in Oels (Oleśnica) vor, die sich im SLUB in Dresden befinden.

Und was ist mit dem Archiv des Opernhauses in Breslau? Von Frau Drożdżewska erfahren wir, dass die katholische Bischöfe in Breslau, vor allem der aus Bayern stammende Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, ebenfalls die Oper liebten und in ihren Häusern private Theater unterhielten. Bischof Franz-Ludwig hat in Breslau auch die Universität Leopoldina gegründet (Foto unten) und war außerdem Großmeister des Deutschen Ordens (wie das Kreuz auf dem Bild oben zeigt). Auch die Jesuiten haben die Kunst des Operngesangs gefördert und sammelten in ihren Archiven viele dieser Werke.

Die Geschichte begann nun wirklich sehr aufregend zu werden!

Kehren wir aber zu Antonio Bioni zurück.


Ab 1726 war er Musiklehrer und Cembalobegleiter einer italienischen Opernkompagnie in Breslau, der er sich in Kuks angeschlossen hatte. 1730 wurde er Direktor und Impresario der Truppe, die 1734 aufgelöst wurde. In dieser Zeit waren nacheinander Daniel Gottlieb Treu, der auch einige Opern zum Programm beisteuerte und Georg Gebel als Cembalisten des Ensembles tätig. Für dieses Breslauer Ensemble schrieb Bioni 25 Opern, von denen einige sehr erfolgreich waren. Der Bischof von Breslau, Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, ab 1729 auch Kurfürst von Mainz, ernannte Bioni 1731 zu seinem Hofkomponisten. In den Jahren 1738 und 1739 wurden einige seiner Kompositionen, darunter die Oper Girita in Wien aufgeführt, danach verlieren sich seine Spuren. Neben seinen Bühnenwerken sind von Bioni nur wenige unbedeutende Werke bekannt, darunter eine vierstimmige Messe, 3 Arien mit Orchesterbegleitung und eine Streicherouverture.
Breslau, die Universität

Wikipedia listet nun eine Reihe von Opern auf, die Bioni für Breslau geschrieben hat und sogar auf Libretti der wichtigsten Librettisten seiner Zeit, allen voraus Metastasio (Armida al campo, 1726, Endimione, 1727, Siroe, Re di Persia, 1732, Demetrio, 1732, Issipile, 1732, Artaserse, 1733, Allesandro nelle Indie, 1733) oder Apostolo Zeno (Lucio Vero, 1727, L’innocenza riconosciuta in Engelberta, 1729, Andromaca, 1730, Alessandro Severo 1733,) und Antonio Salvi, der Stoff für Opern von Scarlatti, Vivaldi oder Händel geliefert hat. Nun, nachdem er Breslau verlassen hatte, kehrte Bioni über Kuks zurück nach Wien, wo er eine letzte Oper schrieb: La pace fra la virtù e la bellezza. Es ist eine Serenata nach einem Libretto von Pietro Metastasio, aufgeführt in Wien im Jahr 1739. Anlass war der Geburtstag von Maria Theresia von Österreich aus dem Hause Habsburg.

Als Sänger wurden Personen aus dem Hof der Kaiserin engagiert und der Komponist selbst sang die Rolle des Gottes Mars.


Pietro Metastasio

Es ist nicht sicher ob die Oper tatsächlich aufgeführt wurde, aber die Partitur befindet sich heute in der Wiener Landesbibliothek. Es ist wahrscheinlich die einzige Oper die aktuell zu finden ist, die uns ein kleines Beispiel über die kompositorischen Fähigkeiten von Antonio Bioni geben kann. Separate Arien aus anderen Opern wurden schon in Breslau aufgenommen, aber nie eine ganze Oper. Das Projekt unserer Academia Ars Augusta, mit dem Lausitzer Barockensemble diese Serenade ab Herbst 2021 zu studieren, ist also nicht nur sehr spannend, sondern auch eine Weltpremiere!

Aktuell digitalisiert Szczepan Dembinski, Barockcellist und Gründungsmitglied des Lausitzer Barockensembles, die Partitur (aus dem Manuskript wird eine moderne Partitur). Frau Drorzdzewska wird uns bei den Nachforschungen zur Biografie des Komponisten begleiten.

Wir erhoffen uns, auf dem Weg zu diesem Abenteuer auch noch auf weitere Werke des Komponisten zu stoßen. Uns beschäftigt vor allem die Frage, wo das Archiv der Breslauer Oper aus der Zeit der Habsburger geblieben ist? Wurde es damals schon nach Wien mitgenommen oder ist es erst seit dem zweiten Weltkrieg verschollen? Wurde es als Kriegsbeute nach Rußland gebracht oder gar vernichtet (was wir nicht zu denken wagen)? Könnte es in Lwów, in Berlin, in einem Kloster in Böhmen oder vielleicht sogar in der Wiener Bibliothek vergraben liegen unter allen möglichen anderen Partituren?... Wer weiß was wir noch alles während der kommenden Monate herausfinden werden? Vielleicht auch ein Portrait des Komponisten?


Die wichtigste Aufgabe aber ist gegebenen Falls, den perfekten Ort für die Erstaufführung zu finden. Es würde sehr gut in den Rahmen des kleinen Barockfestival in Breslau "Mai z muzyką dawną" passen. Oder eben in das wunderschöne Theater in Bad Salzbrunn, wo wir schon die Premiere der Oper "Giove in Argo" von Antonio Lotti haben stattfinden lassen.


"La pace fra la virtù e la bellezza" ist wie "Giove in Argo", eine Oper mit Protagonisten aus der griechischen Götterwelt. Das wunderschön geschriebene Libretto handelt von einem Streit zwischen Venus und Minerva, wer von beiden das Geburtsgeschenk an Theresia überreichen darf.


Minerva und Venus. Flämischer Maler

Durch das Einwirken von Apollo, Mars und Amor sehen die beiden Göttinnen am Ende ein, dass sie Frieden schliessen sollten. Zusammen werden sie am Ende Theresa, die ebenso schön wie klug ist, das Beste für Ihre weitere Laufbahn wünschen.

Maria Theresia ist in die Geschichte tatsächlich als eine der bedeutendsten und guten Herrscherinnen Europas eingegangen; Natürlich nur wenn man die Tatsache ausblendet, dass sie im Jahr 1772 an der Teilung Polens beteiligt war. Wenigstens hat sie das später bereut mit den Worten „Die schreckliche Teilung Polens kostet mich zehn Jahre meines Lebens ... Gott gebe, dass ich mich nicht einst im Jenseits dafür verantworten muss.“

Die zu ihren Ehren komponierte Serenade"Der Frieden zwischen Schönheit und Tugend" werden wir dann im Jahr 2022 produzieren. An Herrn Höber, der uns auf diesen Namen aufmerksam gemacht hat, vielen Dank.

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